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Am 4. Oktober 1958 wurde die von General de Gaulle vorgeschlagene Verfassung von mehr als 80% der Franzosen angenommen und Frankreich eine bis dahin nicht gekannte politische Stabilität verliehen.

Die V. Republik Frankreichs ist 60 Jahre alt geworden

Am 4. Oktober 1958 wurde die von General de Gaulle vorgeschlagene Verfassung von mehr als 80% der Franzosen angenommen und Frankreich eine bis dahin nicht gekannte politische Stabilität verliehen. Die Verfassung der V. Republik hat im Laufe der 60 Jahre ihres Bestehens viele Änderungen und Anpassungen mit unterschiedlichem Ausmaß über sich ergehen lassen müssen, insgesamt 24 Überarbeitungen, davon allein 19 seit 1990. Die durchgeführten Revisionen wurden immer häufiger, aber insbesondere auch immer substantieller.

Wie stehen aber heute die Franzosen zu ihrer Verfassung? Nach einer Umfrage von Odoxa-Dentsu Consulting vom 2. und 3. Oktober 2018 fühlen sich nur noch 44% der Befragten von den Grundwerten der Konstitution 1958 angezogen. In einer von Odoxa in 2014 durchgeführten Befragung zeichnete sich bereits damals eine ähnliche Tendenz ab: 62% der interessierten Franzosen zeigten sich von einem Übergang auf eine VI. Republik angezogen. Wie ist eine solche Entwicklung zu erklären?

Zunächst ist festzustellen, dass das Nationalbewusstsein der Franzosen nicht des direkten Bezugs auf eine bestehende Verfassung bedarf, wie dies vielleicht – aus ganz anderen Gründen – für einen Deutschen der Fall sein könnte. Der weiterhin stark ausgeprägte Patriotismus, durch die momentane wirtschaftliche Schwäche des Landes und durch die Einflüsse der Globalisierung vielleicht etwas in Mitleidenschaft gezogen, zeigt sich immer wieder bei Großereignissen wie z.B. dem Tod einer großen nationalen Lichtgestalt (Sänger, Dichter etc. ) oder auch bei sportlichen Erfolgen (Fußballweltmeister). Aber auch die vielen Änderungen und teilweise bedeutenden Reformen, die an der Verfassung durchgeführt wurden, haben ihre Unantastbarkeit und Glaubwürdigkeit nicht gerade bestärkt. Wenn schon die obersten Verfassungsnormen so leicht veränderbar sind, dann sind auch die Grenzen zu ganz normalen Gesetzen nur noch schwimmend.

Entscheidend dürfte aber sein, dass die Verfassungsrevisionen insgesamt zu einer Schwächung der Exekutive und des Parlaments zugunsten von nicht gewählten Organen, wie supranationalen rechtlichen oder auch administrativen Institutionen führte. Dabei ist auch auf die große Bedeutung und die gravierenden Auswirkungen des teilweisen oder auch gesamten Transfers von Hoheitsrechten und Kompetenzen auf die Europäische Union hinzuweisen. Die sich hieraus entwickelte zunehmende Ablehnung der Franzosen zeigte sich besonders eindrucksvoll bei der äußerst knappen Zustimmung zu den Maastricht-Verträgen in 1992 und bei der Ablehnung des Referendums im Mai 2005 zugunsten einer Europäischen Verfassung.

Präsident Macron ist ein glühender Verfechter der V. Republik und fühlt sich ganz und gar in den Fußstapfen von General de Gaulle. Aber auch er möchte wie seine Vorgänger weitere Änderungen an der bestehenden Verfassung durchführen. Dabei geht es ihm in erster Linie um eine wichtige, aber auch gewagte Modifikation des Wahlsystems; die bestehende Regelung, die ein absolutes Mehrheitswahlrecht zugrunde legt und damit bisher einen Einzug der rechtsradikalen Le-Pen-Partei vereitelte, soll durch die Aufnahme von Elementen des Verhältniswahlrechts (15%) abgemildert werden. Des Weiteren soll, um die Effizienz des Parlaments und des Senats zu erhöhen, so Präsident Macron, die Anzahl der jeweiligen Vertreter um 30% verringert werden.

Die Verfassungsreform, die ursprünglich noch vor der Sommerpause 2018 durchgeführt werden sollte, wurde kurzfristig wegen der „Affäre Benalla“ abgesagt und auf Januar 2019 verschoben.

In der Zwischenzeit ist der Staatspräsident in eine tiefe Popularitätskrise gefallen, die selbst vor seinen eigenen Reihen, „La République en Marche“ („LREM“), nicht halt macht. Es bleibt abzuwarten, ob die von Emmanuel Macron geplante Revision in vollem, ursprünglich angedachtem Umfang aufrechterhalten bleibt oder ob sie nicht aufgrund anderer, zwischenzeitlich wichtiger erscheinender Vorhaben nur in verkürzter Form umgesetzt wird.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der französische Normalbürger der Verfassung zur V. Republik keinen besonderen Identifikationscharakter beimisst. Die zahlreichen Anpassungen haben dieses Phänomen nur noch verstärkt. Ihre besondere Leistung besteht jedoch unzweifelhaft darin, dass Frankreich 60 Jahre lang von größeren Regierungskrisen, wie sie die 4. Republik permanent kannte, verschont blieb. Dazu trug insbesondere die herausgehobene, mit allen Machtbefugnissen ausgestattete direkt gewählte und über dem Parlament stehende Funktion des Staatspräsidenten bei.

Andererseits führte jedoch die bewusste Abschwächung der Rolle des Premierministers zum Wegfall eines Schutzschildes und damit zur Erhöhung der Angriffsfläche beim Präsidenten. Und letzte Konsequenz hieraus war die immer mehr zurückgehende Bedeutung des Parlaments, die durch den häufigen Gebrauch des Ordonnanz-Verfahrens noch gefördert wurde. Die Zukunft wird zeigen, ob diese Regierungsform weiterhin von Erfolg gekrönt bleibt.

 

Autor: Dr. Kurt Schlotthauer / COFFRA


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